Willkommen im Wahnsinn

Band 1 der Büro-Satire «Das Bullshit Bingo Blog»

Buch und eBook Faya Namenlos

Mein Name ist Nik Wydmer. Ich bin 36 Jahre alt und heute von meinem Arbeitgeber zum Kommunikationschef ernannt worden. Wie das passieren konnte ist mir schleierhaft …

Beim Zürcher Finanzdienstleister BuBi AG steckt der Wurm drin. Nachdem die Geschäftsleitung alle externen Kandidaten für die vakante Position des Kommunikationschefs vergrault hat, beruft sie in einer pragmatischen Negativwahl Nicolas Wydmer, bisher Online-Chef, in diese Funktion. Rüde aus seinem beschaulichen, perspektivenlosen Fensterjob gerissen, wird Nik zum Zaungast und Mädchen für alles der Firmenleitung und erlebt live, was normale Büroangestellte schon lange vermuten: Unter den Soziopathen auf der Tropenholz- und Teppichetage ist der gesunde Menschenverstand nur selten zu Gast. Doch Nik bleibt keine Wahl, als sich dem ganz alltäglichen Wahnsinn seiner Vorgesetzten zu stellen. Er tut dies tapfer, kratzbürstig und getreu dem Motto: “Das Ziel eines jeden Arbeitstages ist, ihn zu überleben.” Dabei aktiviert er Fähigkeiten vom Sonderpädagogen bis zum Söldner und bringt sich ein ums andere Mal in Schwierigkeiten, denn eins kann Nik ganz und gar nicht: den Mund halten und sich tot stellen. Heimlich beginnt er über seine haarsträubenden Erfahrungen zu bloggen.

Informationen zum Autor Nicolas Wydmer

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Leserstimmen

“Ich habe heute das Buch fertiggelesen (musste die Lektüre über mehrere Tage verteilen – hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich es in einem Happs verschlungen) und fand es einfach köstlich – umwerfend komisch und so richtig schön fiiiiies!!!” (B.W.) “Ich lese das Buch mit Begeisterung. Den Wahnwitz und die Kuriosität fand ich bis anhin, so auf die Spitze getrieben, nur beim genialen John Kennedy Toole (‘Die Verschwörung der Idioten’).” (Y.K.) “Habe Ihr Buch mit Freude gelesen. Es gefällt mir. Schlanke Sprache, witzig. ” (R.L.) “Das Buch ist schon lange ausgelesen – ich kann nur sagen SUPER! Der Inhalt ist trotz Realitätsnähe witzig und es ist wirklich gut geschrieben!” (C.S.)

Leseprobe

WILLKOMMEN IM WAHNSINN

Das Bullshit Bingo Blog 1

ein satirischer Büro-Roman
von Nicolas Wydmer

Pongü

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1. Auflage 2014

© 2014 Pongü Text & Design GmbH, Meilen, Schweiz

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Pongü Text & Design GmbH

ISBN: 978-3-9524326-0-0 (eBook)
ISBN: 978-3-9524326-1-7 (Taschenbuch)

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Inhaltsverzeichnis

Woche 1
Woche 2
Woche 3
Woche 4
Woche 5
Woche 6
Woche 7
Woche 8
Woche 9
Woche 10
Woche 11
Woche 12
Woche 13
In eigener Sache
Über Nicolas Wydmer

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Woche 1

Montag, 10. Januar, 10.25 Uhr

Mein Name ist Nik Wydmer. Ich bin 36 Jahre alt und heute von meinem Arbeitgeber zum Kommunikationschef ernannt worden. Wie das passieren konnte ist mir schleierhaft. Bis heute Morgen, 10.13 Uhr, war ich der Online-Chef dieses Unternehmens, der Chief Webmaster.

Diese Position ist die perfekte Sackgasse für die Karriere. Das Business betrachtet dich mit Misstrauen, weil du einer jener verhaltensgestörten IT-Freaks bist. Die IT belächelt dich, weil du kein richtiger Informatiker, sondern einer dieser schwulen Designer bist, und die Designer halten nichts von dir, weil du zu den muffigen Bits- und Bytes-Informatikern gehörst.

Als Online-Chef ist deine berufliche Laufbahn etwa so spannend, wie einem Stück Käse beim Schimmeln zuzusehen. Deine Karriere geht genau bis zum mittleren Kader, damit du deine Probleme selbst lösen kannst und niemand damit belästigen musst. Du lebst in deiner persönlichen Gummizelle, wo du es nicht einmal merken würdest, wenn die Firma rund um dich herum untergeht. Im Tagesgeschäft wirst du die ganze Zeit übergangen, nie zu den wichtigen Sitzungen eingeladen und niemand fühlt sich bemüssigt, dich über Projekte auf dem Laufenden zu halten.

“Von unserer neuen Marketingkampagne erfährst du noch früh genug.”

“Nein, an dieser Projektsitzung musst du nicht dabei sein. Die Diskussionsebene ist zu abstrakt für dich.”

“Was? Deine Website läuft nicht mehr, weil wir die Codierung der Bankprodukte geändert haben? Wer hätte das denn ahnen können?”

Du wirst nur dann beachtet, wenn sie etwas von dir wollen, und dann muss der Auftrag immer gestern ausgeführt werden, als wärst du eine lebende Zeitmaschine.

Ein Traumjob. Mein Traumjob!

Kein Anzug, Kommunikation fast ausschliesslich über E-Mail, ein Büro in einer ruhigen Ecke des Kellers oder Dachgeschosses, wo niemand etwas sagt, wenn du dein chinesisches Mittagessen am Arbeitsplatz mampfst. Mein Ziel war es, einmal hinter meinem Computer zu sterben und erst dann von meinen Arbeitskollegen entdeckt zu werden, nachdem ich mich in eine unappetitliche Suppe verwandelt habe, deren Geruch man nie mehr aus dem Teppich bekommt.

Und jetzt das!

Nur weil ich zufällig Informatik und Germanistik studiert habe, also einer jener Affen bin, die nicht nur auf dem Keyboard herumhauen, sondern sogar noch einen ganzen Satz schreiben können.

Die Job Description eines Kommunikationschefs lautet schlicht und einfach “Kanonenfutter”. Schiesst die Presse, bekommst du die ganzen Salven ab. Dreht die GL durch, stehst du im sengenden Hauch der Flammenwerfer. Und bei Knatsch zwischen der GL und der Belegschaft gibt’s das Kreuzfeuer.

Im Moment der Ernennung sinkt deine Lebenserwartung drastisch. Der letzte Kommunikationschef dieses Unternehmens privatisierte vor einem Jahr nach einem Herzinfarkt und vier Bypässen. Übrigens genau gleich wie der Marketingchef.

Und einen Dachschaden bekommt man offenbar auch. Die zwei Herzinfarkte und acht Bypässe gehen bis heute zum Seelenklempner, um ihre traumatischen Erlebnisse in dieser Firma zu verarbeiten. Ganz hat es ihnen den Verstand aber offenbar nicht verbraten. Sie erhalten beim Psychologen Rabatt für identische Psychosen.

Um 10.07 Uhr heute klingelt also das Telefon und der CEO ist dran. “Herr Wydmer, bitte kommen Sie sogleich in mein Büro.” Er hängt ohne ein weiteres Wort ab.

“Ich muss zum CEO”, sage ich laut und hinter den deckenhohen Bücherstapeln, urwaldartigen Pflanzen und verbeulten Aktenschränken tauchen die Köpfe meiner drei Mitarbeitenden wie Periskope auf.

“Der Movieserver …”, sagt die erste.

“Der Gameserver …”, sagt der zweite.

“Ich habe zu viel Rechenleistung für mein neues Projekt abgezogen!”, jammert wiederum die erste, denn der dritte sagt kaum je etwas.

Ich grüsse wie ein Todgeweihter. “Tschüss, ich habe euch alle wirklich gern gehabt und gerne mit euch zusammengearbeitet.”

Im Büro des CEOs nimmt das Grauen Form an. Die ganze Geschäftsleitung der BuBi AG sitzt da. Alle fünf.

“Herr Wydmer. Setzen Sie sich. Wie Sie wissen, suchen wir seit Monaten nach einem neuen Kommunikationschef. Trotz intensivem Headhunting haben wir nur Absagen erhalten, darunter einige von sehr rüpelhafter Natur.” Der CEO schaut durch seine Lesebrille auf ein Notizpapier. “Ein möglicher Kandidat riet uns, uns diesen Scheissjob …”

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Spartenleiter Inland dem CEO unter dem Tisch einen Tritt versetzt.

Der CEO wechselt die Taktik. “Nun denn, es ist, wie es ist. Niemand wollte den Job, deshalb geben wir Ihnen die Chance, sich zu bewähren. Ab heute sind Sie der neue Kommunikationschef der BuBi AG. Wir erwarten Grosses von Ihnen. Noch Fragen?”

Ich bin so verdattert, dass sich mein Überlebensinstinkt ausklinkt und ich sage, was ich denke. “Ich will diesen Job nicht. Ich will an meiner heutigen Position bleiben.”

Der CEO richtet sich auf und macht ein Gesicht. “Das ist leider nicht möglich. Wir haben Ihre Stelle bereits vergeben.”

Ich brauche nicht zu fragen, an wen. Ich kann es mir denken und das boshafte Grinsen des Spartenleiters Inland bestätigt den Verdacht. Meine Stimme klingt nicht mehr freundlich. “Dann machen Sie die Verpflichtung wieder rückgängig. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Eine Entlassung ist nicht gesetzeskonform.”

Das Grinsen des Spartenleiters Inland wird breiter. “Aber wir entlassen Sie nicht. Im Gegenteil: Wir befördern Sie.”

In mir wird alles kalt. “Wenn das eine Beförderung ist, dann will ich die sofortige Ernennung ins Direktionskader, eine Verdoppelung meines Lohns und ein Einzelbüro.” Dem werden sie nie zustimmen, geizig und elitär wie sie sind.

Ich hätte mir genauso gut mein eigenes Grab schaufeln können. “In Ordnung”, sagt der CEO. “Und wenn Sie nun keine Fragen mehr haben, dort ist die Tür.”

Ich stehe auf und mache Anstalten zu gehen, da höre ich den Spartenleiter Asset Management mit dem CEO flüstern. “Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?”, fragt er.

“Das ist mir egal!” Ein genervtes Schnauben des CEO. “Ich bin es leid, jede Woche einen neuen Protokollführer für unsere GL-Sitzung zu suchen. Ich sage dir schon lange, die dafür geeigneten Angestellten richten sich ihre Termine so ein, dass sie nie verfügbar sind. Er kann wenigstens nicht nein sagen.”

Oh ja, die Zukunft sieht wirklich rosig aus.

 

10.50 Uhr

Ich stehe neben Pavel, dem Leiter IT, auf einem abgelegenen Raucherbalkon und starre ins Leere. Neben mir pafft Pavel stumm seine Zigarette. Er ist ein typischer Host-Informatiker: verwaschene Jeans, die ausgebeulten Taschen mit Brieftasche, Taschentüchern und was auch sonst noch immer vollgestopft, Strickpullover, Birkenstocksandalen, Brille, Mobile in einer Halterung am Gürtel, strähnige, halblange Haare.

Pavel war Assistent an der Uni, als ich mein erstes Semester anfing, und unterhielt dort als System-Administrator die gesamte IT-Infrastruktur. Nachdem ich gelernt hatte, immer windaufwärts von ihm zu stehen – er ist Kettenraucher – wurden wir schnell Freunde. Seit ich die Uni nach meinem Abschluss verliess, ist er mir von Arbeitgeber zu Arbeitgeber gefolgt. Beim ersten schlug ich ihn als Leiter Infrastruktur vor, bei der BuBi AG als Chief Technology Officer.

“Die Server sind kein Problem”, sinniert Pavel. “Il Duces Hündchen erkennt einen Fileshare- oder Gameserver nicht, selbst wenn ich ihn direkt davor setze.”

Nicht einmal der Gebrauch des firmeninternen Spitznamens des Spartenleiters Inland kann mich aufheitern. “Mein Team …”

“Oh ja, für sie sind die guten Zeiten vorbei. Das kannst du nicht ändern.”

“Ich bin ihr Chef. Es ist meine Pflicht, auf sie aufzupassen.”

“Du warst ihr Chef.” Nachdenkliche Pause. “Vielleicht kann ich versuchen, sie bei mir unterzubringen.”

“Vielleicht sollte ich von diesem Balkon springen.”

“Vielleicht könntest du aufhören zu jammern?” Pavel zerdrückt seine Zigarette im Aschenbecher, als stelle er sich stattdessen meinen Kopf vor. “Dreh den Spiess um. Spiel das Spiel nach ihren Regeln und zieh sie gleichzeitig durch den Kakao.”

“Ich mag keine Anzüge und ich will nicht rund um die Uhr arbeiten.”

Pavel sagt, dem Himmel sei Dank, nichts von einer “Chance meines Lebens”. Er kratzt sich den Dreitagesbart. “Lass uns mal überlegen, wie wir deine inoffizielle Infrastruktur zügeln.”

Und so entwerfen wir den Masterplan.

 

Dienstag, 11. Januar, 9.13 Uhr

Meine erste GL-Sitzung. Bereits nach fünf Minuten kann ich sagen, dass ich in meinem bisherigen Leben nichts verpasst habe. Wie unschwer zu erkennen ist, befinde ich mich auf der Eingabemaske meines Blogs. Sobald ein wichtiges Stichwort fällt, wechsle ich ins Word und schreibe es ins Protokoll. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies in den nächsten zwei Stunden geschieht, ist etwa so gross, wie eine frittierte Maus in einer Chipstüte zu finden.

Gerade wird die Spesenabrechnung einer Assistentin diskutiert. Sie ist zuständig für die Geburtstagsgeschenke. Die werten Herren finden die Bestellspesen für die Karten – immerhin zehn Franken Porto für die Lieferung von 100 Karten – zu hoch. Sie entscheiden, die Assistentin zukünftig zu Fuss loszuschicken.

Danach wird ein Antrag aus dem Marketing besprochen. Die Hauptdiskussion entfällt dabei auf die Formulierung des Antrags. Dieser klinge beim inzwischen dritten Einreichen an die GL vom Tonfall her vorwurfsvoll. Ohne den Inhalt weiter zu besprechen, wird der Antrag zur Neuformulierung zurückgewiesen.

Der CEO bringt das Gespräch auf eine neu überarbeitete Druckbroschüre, in der ihm ein Wort nicht gefällt. Er will zukünftig in den Sign-off-Prozess einbezogen werden und die Broschüre, die bereits in einer Auflage von 10 000 Exemplaren im Offset-Verfahren gedruckt wurde, noch einmal drucken lassen.

Ich überlege, wie MacGyver sich mit Hilfe eines Laptops, eines Stromadapters, einer Packung Papiertaschentücher, drei Knöpfen unbekannter Herkunft, einer Krawatte und einem Stift Lippenpomade wohl umgebracht hätte, ohne dass Umstehende ihn davon hätten abhalten können.

Ach ja, vielleicht sollte ich noch erläutern, wie die ganze Idee mit dem Blog eigentlich entstanden ist.

(Jetzt diskutieren sie doch tatsächlich darüber, dass es schon wieder Probleme mit dem Ausräumen des Geschirrspülers in der Cafeteria gibt.)

Nach dem gestrigen, rabenschwarzen Tag lud mich Pavel auf ein Glas Bier ein. Das heisst, er trank sein Bier und ich trank einen Kombucha. Dabei treffen wir Kollegen von früher, die natürlich nach meinem Befinden fragen.

“Das wäre mal Material für einen Blog”, meint plötzlich einer. “Der ganze Bullshit, den wir uns im Office täglich anhören müssen.”

Ich verschlucke mich fast an meinem Kombucha. “Ich bin 36 Jahre alt und somit zu einer Zeit geboren, in der man sich noch in ganzen Sätzen ausdrückte. Mir fehlt die Fähigkeit, eine Ladung Hirnrissiges in Abkürzungen wiederzugeben.”

Pavel kaut auf einem Zahnstocher. “Wir sind ja auch keine zwanzig mehr und wir sind ganz klar deine Zielgruppe. Ich würde gerne wieder etwas von dir lesen. Aber man darf den Blog auf keinen Fall zu dir tracken können. Du brauchst Pseudonyme für alle. Und du müsstest über eine Website posten, die dir nicht gehört.”

“Dann trage ich immer noch das Risiko der Wahrheit”, wende ich ein, aber die Idee beginnt mir zu gefallen. Selbst wenn jemand von der GL den Blog irgendwann einmal liest: Die Fähigkeit zur Unterscheidung von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung geht ihnen völlig ab. Das Risiko einer Entdeckung ist tatsächlich sehr klein.

Als ich kurz nach zehn zu Hause bin, lässt mich die Idee nicht mehr los. Die grosse Frage ist, wer mich hosten könnte.

Das Problem ist innerhalb weniger Minuten mit drei SMS gelöst. Um Mitternacht steht eine WordPress-Website bereit. Login und Passwort befinden sich in meiner Mailbox.

 

9.28 Uhr

“Wydmer, hören Sie uns überhaupt zu?”

Ich blicke auf. Fünf Augenpaare schauen mich vorwurfsvoll an.

“Ich bin ein Mann. Wenn Sie einen multitasking-fähigen Kommunikationschef wollen, müssen Sie schon eine Frau anstellen.”

“Dann lassen Sie das Protokoll jetzt einmal beiseite. Ich weiss sowieso nicht, was Sie sich alles aufschreiben. Ihre Vorgänger haben am Ende immer nur fünf Zeilen abgeliefert.”

“Die Qualität dieser fünf Zeilen hängt direkt mit der Qualität des Ausgangsmaterials zusammen.” Ich schliesse den Deckel meines Laptops. “Lassen Sie mich meinen Job machen. Ich rede Ihnen auch nicht bei Ihrem drein.”

Interessanterweise scheint dieses Alphatier-Geblaffe genau das richtige zu sein. Der CEO schaut plötzlich wieder wohlwollend. “Nun denn, Wydmer. Hier kommt Ihre erste Bewährungsprobe. Sie organisieren eine Management-Klausur. Das gesamte Direktionskader wird sich an einem abgelegenen Ort der Verbesserung unserer Firmenstrategie widmen. Der Termin ist morgen in einer Woche. Sie organisieren alles. Soweit ich weiss, wurde noch nichts gemacht, causa absentiae Ihres Amtsvorgängers. Sie haben freie Hand.”

 

Mittwoch, 12. Januar, 8.11 Uhr

Pavel lehnt in meinem neuen Büro an meinem neuen Schreibtisch und verbreitet abgestandenen Zigarettendunst.

“Ich kann Entwarnung geben bezüglich deinem Nachfolger. Ich habe ihm heute Zugriffs- und Serverlast-Statistiken vorgelegt und er freute sich über die Höhe von beidem, obwohl die Serverlast unverhältnismässig hoch und die Zugriffe lausig sind.”

“Er kann lernen.”

“Ja, aber vermutlich nur in evolutionären Sprüngen. Bis der den Pferdefuss sieht, ist die Menschheit ausgestorben. Was starrst du so auf dieses Blatt Papier?”

“Wie organisiert man ein Management-Seminar in sieben Tagen inklusive Übernachtungen und Verpflegung für fünfzig Personen?”

“Ich würde mich aufhängen. Du bekommst weder Seminarraum noch Hotel mehr.”

Ich habe eine Idee. “Wir sollen doch immer ‘out of the box’ denken. Dann tun wir das doch. Allerdings solltest du dir bis nächste Woche noch eine Grippe zulegen.”

“Weshalb?”

Ich grabe eine ältere Schweizer Tageszeitung aus meinem Unterlagenstapel, der mit mir umgezogen ist. Darin berichtet ein seitenlanger Artikel über das Sterben der Klöster und die neuen Wege zur Aspiranten-Werbung, die die Ordensbrüder einschlagen.

Pavels Gesicht spricht Bände. Erst zeigt es Schreck, dann Berechnung, um danach zu boshafter Freude zu wechseln. “Ich denke, warme Socken und Thermounterwäsche sind eine bessere Idee als die Grippe. Ich hoffe doch schwer, du fragst bei den Franziskanern an?”

“Wo sonst?”

Während ich telefoniere, wird mir mit Dankbarkeit klar, dass Pavel der beste aller Freunde ist. Immer zu Unsinn aufgelegt, würde er sogar mit dem Hund aus einem Napf fressen, wenn man es ihm richtig verkauft.

Der Spass endet jedoch, bevor er begonnen hat. Meine Telefonate bringen ein überraschendes Ergebnis. Ich werde überall mit Nuancen zwischen kühl und frostig abgewiesen. Um meine Enttäuschung zu verarbeiten, grabe ich mich durch die Unterlagen, die mein Vorgänger mir hinterlassen hat.

Ich finde ein kleines schwarzes Buch, eins von diesen trendigen für das zumindest dem Namen nach eine Herde Maulwürfe ins Gras beissen muss. Darin hat mein Vorgänger seine Gedanken vermerkt. Auf der allerersten Seite steht: “Der Sinn eines jeden Tages ist, ihn zu überleben.”

Ich blättere zur Seite “Organisation von Management-Seminaren” und stutze. Danach rufe ich meinen Ansprechpartner im Controlling an. Die jahrelangen Kämpfe um das kreative Verbuchen meiner Rechnungen haben uns zusammengeschweisst. Er schaut kurz nach und bestätigt mir das Budget, das ich zur Verfügung habe.

Nach dem Aufhängen starre ich noch lange den Hörer an, die Notizen meines Vorgängers vor Augen: “Du hast das Budget eines Kleinstaats. Denk dir das Grässlichste aus, was dir einfällt, und geniesse.”

 

Donnerstag, 13. Januar, 6.30 Uhr

Ich sitze auf dem Klo mit meinem Smartphone und vertue mir die Zeit damit, mit Vögeln auf Schweine zu schiessen. Da macht es plötzlich “bing” in meinem Kopf.

 

11.05 Uhr

Die Management-Klausur ist organisiert. Und ich habe ein wohliges Gefühl ums Herz, da ich nicht nur den Hass meiner Kollegen auf mich ziehen werde, sondern offenbar auch noch etwas Gutes getan habe.

Mir ist heute Morgen schlicht und einfach aufgegangen, dass wir in der Schweiz immer noch sehr verwöhnt sind und lieber jammern, als etwas an unserem Schicksal zu ändern. Deshalb dehnte ich meine Anfragen auf die Klöster im Osten Deutschlands aus. Schon beim zweiten werde ich fündig. Der Abt persönlich spricht mit mir. Er ist von meiner Idee so begeistert, dass mir etwas mulmig wird.

“Bitte entschuldigen Sie, Herr Abt, aber habe ich Ihnen gerade meine Seele verkauft?”

Er lacht. “Nein, aber Sie schickt der Himmel. Unsere altehrwürdigen Gebäude verfallen und es ist kein Geld für die Renovation da. Das Geld wird uns erlauben, Material zu kaufen und die wichtigsten Arbeiten zu beginnen.”

“Und Ihnen ist bewusst, dass Sie sich dafür drei Tage lang mit arroganten Managern herumschlagen müssen?”

“Drei Tage gehen schnell vorbei, Herr Wydmer. Zumindest für uns.”

Pavel unterschreibt die Auftragsbestätigungen für das Kloster und das Busunternehmen gemeinsam mit mir. Während ich sie ins Faxgerät füttere, liest er am Bildschirm das Seminar-Programm, das ich gerade geschrieben habe.

[…]

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Willkommen im Wahnsinn

von Nicolas Wydmer

Band 1 der satirischen Romanserie «Das Bullshit Bingo Blog»

Buch und eBook Faya Namenlos

Erscheinungsdatum: Juli 2014

164 Seiten

erhältlich als eBook und Taschenbuch

ISBN eBook: 978-3-9524326-0-0
ISBN Taschenbuch: 978-3-9524326-1-7

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