Wir winken vom Elfenbeinturm

Band 2 der Büro-Satire «Das Bullshit Bingo Blog»

Buch und eBook Faya Namenlos

Mein Name ist Nik Wydmer. Ich bin 36 Jahre alt. Heute beginnt meine vierzehnte Woche als Leiter Kommunikation bei BuBi AG, einem kleinen Finanzdienstleister in Zürich …

Seit die Geschäftsleitung Nicolas Wydmer, ehemals Online-Chef, als pragmatische Notlösung auf die Tropenholz- und Teppichetage gelassen hat, ist sein beruflicher Alltag äussert interessant und abwechslungsreich geworden. Ob nun der CEO im rosa Hasenkostüm durchs Gebäude hoppelt, nicht sozialverträgliche Kunst beseitigt werden muss oder gar ein Virenangriff die ganze Firma offline nimmt: Damit umzugehen und die kleineren und grösseren Kollateralschäden zu beseitigen, all das gehört zu Niks Job – denn schliesslich ist alles irgendwie Kommunikation. Inzwischen hat er auch die wichtigsten Strategien für das Überleben im Wahnsinn raus und berichtet mit einer gehörigen Portion Selbstironie und Zynismus über seinen verrückten Alltag, in dem der ökonomische Umgang mit der Wahrheit nur zu oft eine zentrale Rolle spielt. So scheint eigentlich alles unter Kontrolle. Doch dann geschieht etwas ebenso Erschreckendes wie Unerwartetes und Nik muss sich grösste Mühe geben, seine berufliche Souveränität zu bewahren.

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Leseprobe

WIR WINKEN VOM ELFENBEINTURM

Das Bullshit Bingo Blog 2

Roman
(denn das kann unmöglich alles echt sein, oder?)

von Nicolas Wydmer

Pongü

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1. Auflage 2015

© 2015 Pongü Text & Design GmbH, Meilen, Schweiz

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Pongü Text & Design GmbH

ISBN: 978-3-9524326-2-4 (eBook)
ISBN: 978-3-9524326-3-1 (Taschenbuch)

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Inhaltsverzeichnis

Woche 14
Woche 15
Woche 16
Woche 17
Woche 18
Woche 19
Woche 20
Woche 21
Woche 22
Woche 23-25
Woche 26
Woche 27
Woche 28
In eigener Sache
Über Nicolas Wydmer

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Woche 14

Montag, 11. April, 6.55 Uhr

Mein Name ist Nik Wydmer. Ich bin 36 Jahre alt. Heute beginnt meine vierzehnte Woche als Leiter Kommunikation bei BuBi AG, einem kleinen Finanzdienstleister in Zürich.

Während ich normalerweise wach und ausgeglichen zur Arbeit erscheine, bin ich heute müde und gereizt. Am vergangenen Freitag und Samstag war wieder Teambildungsevent. Allen, die Vollzeit arbeiten, fehlt an diesen Wochenenden ein Tag zur Erholung – oder auch nur zum Wäschewaschen. Bei mir liegen noch fünf nicht gebügelte Hemden im Wäschekorb, was ich nicht haben kann.

Ich starte meinen PC. Ein Blick in meine Inbox zeigt sechs neue Mails von Stefan Leuli, meinem CEO. Getreu dem Prinzip, dass der frühe Vogel den Wurm fängt, hat er um halb sechs zu arbeiten begonnen.

Ich öffne die erste Mail.

Bevor ich Leiter Kommunikation – auf Neudeutsch auch Chief Communications Officer (CCO) genannt – wurde, war ich Online-Chef beim gleichen Unternehmen.

Die beiden Jobs sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht.

Als Online-Chef existierte ich für den Rest der Organisation nicht. In jedem Geschäftsprozess war ich zuletzt dran, wenn man mich nicht gänzlich vergass. Es war ein beschaulicher, perspektivenloser Fensterjob, in dem ich ein kleines Team leitete.

Klingt schrecklich?

War’s überhaupt nicht. Ich war zufrieden mit meinem Leben.

Bis dann der Tag kam, an dem mir die Geschäftsleitung ein Angebot machte, das ich nicht ablehnen konnte.

Es begann mit einem telefonischen: “Wydmer, daher!” Dann stand ich vor der Geschäftsleitung wie ein armer Sünder vor seinem Richter. Und als ich den Raum verliess, war ich Leiter Kommunikation von BuBi AG.

Nicht etwa, weil meine Leistungen so gut waren – oder gar, weil man an mich glaubte. Nein. Ich war die pragmatische Negativwahl, nachdem die Geschäftsleitung trotz intensivem Headhunting von allen externen Bewerbern nur Absagen erhalten hatte.

Und aus Nik Wydmer “warte mal, ich glaube, der macht bei uns doch ein bisschen online und so” wurde plötzlich eine zentrale Drehscheibe im Unternehmen. Denn der Job als Leiter Kommunikation ist in vielerlei Hinsicht das Abwechslungsreichste, was man sich beruflich antun kann. Wer gerne selbstmotiviert arbeitet, findet hier eine grosse Spielwiese.

Inzwischen habe ich Leulis erste E-Mail gelesen. Er ist am Quengeln, weil der Teambildungsevent nicht seinen Vorstellungen entsprach und befiehlt mir, den externen Organisatoren den Kopf zurechtzurücken.

Ich kondensiere seine zwanzig Zeilen lange Litanei im Word zu einer Bullet-Point-Liste, kopiere diese ins E-Mail-Programm und sende sie mit einer kurzen Einleitung und der Forderung nach Stellungnahme dem externen Veranstalter, mit cc an Leuli.

Sache erledigt.

Das Interessante an meiner Funktion als Chief Communications Officer entsteht aus ihrer transdisziplinären Value Proposition. Will heissen: Am Ende ist alles Kommunikation und somit landet jedes Lowlight, an dem sich niemand sonst die Finger schmutzig machen will, auf meinem Tisch. So wie gerade gesehen.

Es hätte auch das Einschreiben eines schon zu Tode genervten Kunden sein können, der mit seinem Anwalt droht. Oder die Aufforderung eines städtischen Amtes zu beweisen, dass die von unserem Unternehmen verwendeten Abfallcontainer tatsächlich irgendeiner obskuren DIN-Norm entsprechen.

Die zweite E-Mail von Leuli hebt meine Stimmung.

Ein namhaftes Schweizer Wirtschaftsmagazin will mit ihm ein Interview machen. Ich soll ihm Feedback zu den erhaltenen Fragen und seinen Antworten geben.

Mache ich gerne. Und ich werde mich hüten zu motzen, dass die Anfrage direkt an Leuli und nicht – wie es eigentlich korrekt wäre – über mich als Ansprechpartner für die Medien gestellt wurde.

Den Chefredaktor des Wirtschaftsmagazins und Leuli verbindet eine abgrundtiefe Hassliebe. Wenn sich die Wege der beiden kreuzen, fliegen die Fetzen. Aber beide sind Profis in ihrem Bereich und schaffen es jedes Mal, Topinhalte zu produzieren, die von der Presse schweizweit aufgenommen werden.

Die Medienabdeckung unseres Unternehmens in der zweiten Monatshälfte ist somit garantiert und ich kann mir das Klinkenputzen bei den Redaktionen sparen. Das ist doch ein nettes Resultat für noch nicht einmal acht Uhr an einem Montagmorgen.

E-Mail drei und vier kann ich einfach ablegen. Sie bestehen aus ccs zu meiner Information.

Welche Qualifikationen man für meinen Job braucht?

Mein bester Freund Pavel, der bei BuBi AG als Leiter IT arbeitet, würde jetzt sagen: “Alle möglichen und unmöglichen. Eine Ausbildung zum Sonderpädagogen kann ganz nützlich sein, so wie auch Erfahrung als Kindergärtner und Söldner.”

Womit er nicht ganz unrecht hat. Aber ernsthaft:

Als Chief Communications Officer sollte man unbedingt zuhören können. Fehlerfreies, grammatikalisch korrektes Schreiben hilft, ebenso wie Servicebereitschaft und sozialverträgliche Manieren. Und nicht zuletzt sollte man etwas vom Metier verstehen, in dem man tätig ist – in meinem Fall vom Banking. Die Grundlagen für den Job kann man in den verschiedensten Bereichen legen, sei es in der Jurisprudenz, der Medienwissenschaft oder auch der Betriebswirtschaft.

Ich selbst habe Germanistik und Informatik studiert und eine Zeitlang als Senior Product Manager für Anlagefonds Erfahrungen gesammelt.

E-Mail fünf ist wieder ein Lowlight, wobei ich beim Lesen lachen muss.

Es ist die Anfrage eines aspirierenden Künstlers. Er will uns als Sponsor für seine aus einem abstossenden, selbst produzierten Material bestehenden Skulpturen. Ist man als Unternehmen in den Medien, kommt fast jede Woche etwas in der Art. Und leider ist die E-Mail-Adresse unseres CEOs kein Geheimnis. (Er regt sich über solche Bettelbriefe immer furchtbar auf.)

Die Mail kommt in meinen Ordner namens Bizarre_Anfragen-to_keep. Was da alles drin ist, glaubt mir niemand. Eines Tages veröffentliche ich damit ein Buch.

Bei Mail sechs mit dem Betreff “Budgettreue” läuten meine Alarmglocken und ich lese es dreimal, bis ich es sicher verstanden habe.

Als Chief Communications Officer ist man für gewöhnlich in einer Stabsfunktion direkt dem CEO unterstellt, sitzt also an einer Stelle in der Organisation, wo man alles, aber auch wirklich alles sieht. Nur will einen dort niemand haben.

Kaum ein Geschäftsleitungsmitglied hat seine Position erreicht, weil er/sie so kompetent ist oder sich so vorbildlich verhält. Das sind alles Soziopathen mit einer angemessenen Portion Paranoia. Sie vertrauen sich gegenseitig nicht und schon gar nicht dir als Aussenstehendem.

Ein falsches Wort und dein Bürosessel wird zum Schleudersitz. Und wehe, du gerätst in einen Schusswechsel zwischen den hohen Herren.

Stefan Leuli, unser CEO, ist gerade stinkig auf einen seiner Kollegen und will, dass ich mich einmische.

Ich überlege kurz, stelle sicher, dass Leulis Präsenzanzeige auf Grün steht und werfe einen Blick in seinen Kalender. Dann öffne ich ein Nachrichtenfenster in unserem Instant-Messaging-Programm. (LeS und WyN sind die persönlichen Kürzel von Leuli und mir.)

wyn@les (07.28 Uhr) Hätten Sie um 9.45 Uhr kurz Zeit für eine Abstimmungssitzung betr. Budgettreue? Ich benötige noch zusätzliche Informationen.

Was übrigens zu einhundert Prozent gelogen ist. Ich weiss genau, worum es geht.

Das System zeigt mir an, dass Leuli am Schreiben ist.

les@wyn (7.33 Uhr) Vergessen Sie es. Bis ich Ihnen das erklärt habe, habe ich es schneller selbst gemacht.

Womit ich mein Ziel erreicht habe. In meinem Job sollte man sich nie zu schade sein, den Deppen zu spielen.

9.21 Uhr

Was ich noch gar nicht erwähnt habe: In Zürich ist heute Sechseläuten. Dieser Feiertag gehört zu den ganz grossen Anlässen der Stadt und wie die meisten Büroangestellten in der City kann ich mich auf einen Arbeitsschluss um 12 Uhr freuen.

Das Sechseläuten als Fest hat etwas, insbesondere wenn das Wetter so traumhaft ist wie heute.

Am Nachmittag findet in der Innenstadt eine Parade der Zünfte mit historischen Kostümen und Pferden statt. Sie endet auf dem Sechseläutenplatz. Dort galoppieren die Reiter um einen Scheiterhaufen, auf dem ein Schneemann als Symbol des Winters – der Böögg – verbrannt wird. Am Abend besuchen sich die Zünfte gegenseitig mit Musik und Trallala.

Medientechnisch ist der Anlass auch interessant, denn jedes Jahr gibt es im Vorfeld öffentlich ausgetragene Reibereien.

Denn wenn ich “die Zünfte” sage, sind damit ausschliesslich die Männer aus alteingesessenen, oft reichen Zürcher Familien gemeint. Ob und wie die Frauen mitmarschieren dürfen ist immer wieder Gegenstand von hitzigen Diskussionen.

Auch die Ehefrauen der Zünfter sind nicht durchgehend begeistert.

Als ich mir einen Tee in der Cafeteria zubereite, diskutieren zwei Kolleginnen dort gerade über das Thema.

“Dass du heute arbeiten kommst”, sagt die eine. “Ist heute nicht der grosse Tag deines Mannes?”

Laut firmeninternem Latrinenkanal ist der Mann der Angesprochenen aus altem Zürcher Geldadel und entsprechend auch in einer Zunft.

Sie verzieht das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. “Ja, und genau deshalb arbeite ich. Zuhause hypern mein Mann und meine Söhne jetzt durch die Wohnung, finden ihre Sachen nicht und machen sich gegenseitig verrückt. Es reicht, dass ich heute Nachmittag zum Umzug hetzen muss, um ihnen und ihren wichtigen Kontakten die Blumen zu überreichen und halb Zürich abzuküssen. Und als würde das alles nicht reichen, werden sie morgen jammern wegen ihres Katers und wegen der riesigen Blasen an ihren Füssen von den Schuhen, die sie genau einmal im Jahr tragen.”

Die Kollegin lässt den Wortschwall unkommentiert vorbeiziehen, runzelt nur die Stirn. “Wenn du möchtest, habe ich dir Echinacea-Tabletten. So von wegen Übertragung von Grippeviren beim Küssen und so.”

“Ein Whisky wäre mir lieber.”

Inzwischen kocht mein Teewasser und verdrücke mich, bevor mich die Damen in ihre Diskussion einbeziehen können.

Ich selbst habe keine Meinung dazu. Ich wohne und arbeite nur hier.

Ich beginne mit der Textkosmetik an Leulis Interviewantworten. Bei seiner Hassliebe lässt er es sich nicht nehmen, sie selbst zu verfassen. (Bei einem anderen Journalisten würde er sie mir mit dem Befehl: “Mach mal!”, zur Bearbeitung hinwerfen.) Für einen ersten Entwurf hat er gute Arbeit geleistet.

Wie stets am Sechseläuten-Tag herrscht fast himmlische Ruhe in unserem Firmengebäude und auch in der Umgebung.

Unsere Büros liegen im Bankenviertel beim See, das von Paradeplatz, Kongresshaus und Bahnhof Enge begrenzt wird. Dort bekommen wir von den Vorbereitungen der Stadt kaum etwas mit. Und viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben freigenommen.

Von den mir direkt Unterstellten ist nur Tinta da, mein Senior Webmaster. Sie hält im Online-Büro die Stellung. Da die Auftragsmailbox leer bleibt, die offiziellen und inoffiziellen Server in einem Topzustand und keine Projekte in der akuten Phase sind, arbeitet sie sich aus reinem Spass in eine neue Programmiersprache ein.

Nachdem ich mit der Bearbeitung des Interviews fertig bin und es dem Journalisten gesandt habe, feile ich an meinen eigenen Unterlagen. Am Donnerstag und Freitag werden der CEO und Nils Zeeman, ebenfalls ein Mitglied der Geschäftsleitung, ihr Medientraining bei mir absolvieren. Da möchte ich gut vorbereitet sein.

11.02 Uhr

Pavel, Leiter IT, Geek Extraordinaire und, wie vorgängig bereits erwähnt, mein bester Freund, kommt auf einen Schwatz vorbei. Offenbar befindet sich seine Frau mal wieder auf Geschäftsreise. Seine Kleider sehen aus wie direkt aus dem Wäschekorb – dem für Schmutzwäsche wohlverstanden.

“Hast du dir gerade mit Leulis Zahnbürste die Schuhe geputzt?” Durch Pavels mit Fingerabdrücken verschmierte Brillengläser sehe ich den Schalk in seinen Augen tanzen.

Er reibt sich die Hände. “Viel besser. Du wirst es bald sehen. – Und du, hast du dich heute schon in einen Fettnapf versenkt?”

“Ich weiss nicht, was du damit meinst”, tue ich beleidigt und tippe weiter.

“Ach, komm schon, Nik. Wir wissen beide: Wenn du eins nicht kannst, ist das, auf den Mund zu hocken und dich totzustellen. Und Leuli scheint ja nur auf diese Momente zu warten. Sag bloss, er hat dir den roten Teppich heute noch nicht ausgerollt.”

Pavel besitzt einen ganz boshaften Humor.

“Nein, er war recht zahm.”

Was mich daran erinnert, dass nicht alle von Pavels Scherzen verlaufen wie geplant.

“Wegen der Sache, die du vorhast: Werde ich hinter dir aufräumen müssen?”, bringe ich das Gespräch auf das ursprüngliche Thema zurück.

Jetzt ist Pavel beleidigt. “Natürlich nicht. Tu nicht so, als ob du das schon einmal musstest!”

“Die FTP-Zugänge?”

Etwa jedes halbe Jahr stellt Pavel “aus Sicherheitsgründen” alle FTP-Zugänge der Firma ab, wodurch es für uns nicht mehr möglich ist, grosse Files zu senden oder zu empfangen und ein Grossteil der Arbeitsprozesse zum Erliegen kommt. Ich Glücklicher darf dann jeweils im ganzen Aufruhr vermitteln.

“Ach hör doch auf! Ich verstehe nicht, weshalb die Leute nicht DVDs per Post versenden können!”

Ich verdrehe die Augen. Wie jeder Leiter IT ist Pavel paranoid – und die Paranoia nicht ganz unberechtigt.

“Was hast du denn vor?”

Pavel verschränkt die Arme. “Lass dich überraschen.”

“Und ich kann dich nicht davon abbringen?”

“Nein.”

Ich seufze.

Pavel erzählt mir von seinem Nachmittagsprogramm. Er will mit seinen Kindern – davon hat er immerhin fünf – im Wald Würste braten und Verstecken spielen.

Er bietet mir an mitzukommen, aber mein Job schlaucht mich mehr als mir lieb ist und ich muss mit meinen Kräften haushalten. So lehne ich ab.

Als ich kurz nach zwölf das Office verlasse, liegt der ganze Nachmittag noch vor mir. Das Wetter ist herrlich. Ich werde mich in meiner Wohnung in den Sonnenschein setzen und jede Minute beim Lesen eines Buchs geniessen.

Dienstag, 12. April, 8.45 Uhr

Die Hemden sind inzwischen gebügelt, was sich positiv auf meine Laune auswirkt.

Wie stets bin ich etwas zu früh im Boardroom, dem Sitzungszimmer der Geschäftsleitung, das heute trügerisch heiter wirkt. Sonnenlicht fällt durch die Fenster. Das Wetter ist immer noch frühlingshaft und auf dem kleinen Stück See, das man durch eins der Fenster sehen kann, glitzern die Wellen.

Die Frauen vom Empfang sind fast fertig damit, alles einzurichten. Wir grüssen uns und scherzen ein wenig miteinander.

Die Anordnung am ovalen Tisch ist immer die gleiche:

Stefan Leuli sitzt als CEO am Kopfende, von wo aus er die Tür frontal im Blick hat und etwaige Besucher einschüchtern kann. Von der Tür bis zum Tisch sind es nur wenige Meter. Muss man einen Antrag vertreten, der ihm nicht passt, kann einem die Distanz wie Kilometer vorkommen.

Rechterhand von Leuli sitzt sein Kronprinz Lucius Duca, der Spartenleiter Inland. Ducas interner Spitzname Il Duce sagt alles über ihn. Er ist bösartig, verschlagen und arrogant, und bis auf einige wenige Auserwählte muss sich jeder vor ihm in Acht nehmen.

Links von Leuli fläzt Nils Zeeman, der Spartenleiter International, ein dicklicher, verlebt wirkender Holländer. Der äussere Eindruck täuscht. Er ist fachlich gut und seine Leute schätzen ihn.

Der Platz von Thomas Tanner, dem Spartenleiter Support und Logistik, war ursprünglich neben Lucius Duca. Da die beiden sich auf den Tod nicht ausstehen können, musste Tanner auf die andere Seite des Tisches wechseln.

Ganz genau weiss es niemand, aber offenbar wurden die beiden einmal handgreiflich. Tanner selbst ist etwas verstaubt und kompliziert, aber sonst ganz OK. Er leidet darunter, dass die anderen ihn nicht für voll nehmen, weil sein Bereich nur kostet.

Das Küken der Runde ist Romano Scarpetta, der Spartenleiter Asset Management. Er kam vor einiger Zeit von der UBS zu uns. Ich mag ihn gut. Er hat Verstand, Fachkompetenz und Humor. Den braucht er auch, denn bei ihm arbeiten die Finanzgenies, die alle einen an der Waffel haben und sich wie die grössten Primadonnen aufführen.

Vom Charakter her ist er aufbrausend, regt sich aber genauso schnell wieder ab. Er harrt tapfer auf dem Platz neben Il Duce aus, obwohl auch die beiden sich nicht besonders grün sind.

Unten am Tisch, auf einem der Bittstellerstühle, sitze dann jeweils ich. Dabei wechsle ich von Sitzung zu Sitzung den Platz, weil ich weiss, dass es Leuli wahnsinnig macht.

Die hohen Herren treffen ein. Sie werden von Totengräbern begleitet. Bei den Herren in Trauerkleidung handelt es sich um zwei der externen Consultants, die sich seit einiger Zeit bei uns herumtreiben.

Während Leuli die Sitzung eröffnet, geht mir auf, weshalb ich die Unternehmensberater schon länger nicht mehr gesehen habe. Nach drei Wochen Herumschnüffeln und zwei Wochen Aufarbeitung geben sie heute ihren Schlussbericht ab.

Natürlich befand es die Geschäftsleitung nicht für nötig, mich über dieses Traktandum zu informieren, so dass mein ganzer Zeitplan von Beginn weg hinfällig ist.

Der Head Consultant und Projektleiter räuspert sich und schaut die Mitglieder der GL über den Rand seiner Brille hinweg an. “Ich möchte darauf hinweisen, dass eine Vertiefung der Analyse angebracht wäre. Wir haben unsere Leistungen gemäss dem von Ihnen äusserst hart verhandelten Fixpreis-Agreement erbracht. Die dadurch zur Verfügung stehende Zeit ergab aber in keiner Weise die Analysetiefe, die wir in anderen Firmen liefern.”

Consultants zum Dumpingpreis! Ich grinse in mich hinein. Manchmal ist die Umständlichkeit der GL auch für etwas gut. So sind wir die Geier wenigstens schneller wieder los.

“Ich bin sicher, die Zeit für die Analyse war völlig ausreichend.” Leuli wedelt mit der Hand, als wolle er ein unerwünschtes Diskussionsthema verscheuchen.

Der Consultant fährt etwas lauter fort, um weitere Kommentare zu unterdrücken. “Wir haben die Prozesse in Ihrer Firma analysiert, so gut wir dazu in der Lage waren. Ich möchte aber betonen, dass uns der endgültige Durchblick versagt blieb.”

Was mich nicht erstaunt. Die Prozesse in unserer Firma sind etwa so klar und transparent wie der Inhalt eines frisch gefüllten Klärbeckens.

“Zu den Ergebnissen …”

“Beschränken Sie sich auf das Management Summary”, fällt ihm Leuli erneut ins Wort. “Wir sind hier alles erwachsene Menschen und können Ihre Ergebnisse problemlos interpretieren.”

Der Consultant sendet unserem CEO einen vernichtenden Blick. Wie stets bemerkt Leuli nichts.

“Dann also, wie gewünscht, das Management Summary: Auf der Kostenseite geben Sie viel zu viel aus für Ihre Teambildungsevents. Zählt man alle direkten und indirekten Folgekosten wie entgangene Geschäftsopportunitäten zusammen, so beläuft sich ein Event auf rund 500 000 Franken. Eine Million pro Monat kann sich Ihre Firma nicht leisten. Wir raten dringend zu einem Inhousing und zu einer Reduktion der Frequenz.”

Im Sitzungszimmer tritt Totenstille ein. Die verhassten Teambildungsevents haben schon zu vielen Unstimmigkeiten in der Firma geführt, auch zwischen Leuli, ihrem glühenden Verfechter, und seinen Geschäftsleitungskollegen.

Vom Sexpuppen Verschiffen bis zum Schlammcatchen haben wir schon alles gemacht, uns eine polizeiliche Anzeige eingefangen, über dem offenen Feuer gekocht und im Kloster meditiert. Wobei die Meinungen über den Event im Kloster – einer von den beiden, die ich noch organisiert hatte – auseinandergehen: Einige fanden ihn sehr produktiv. Andere (=meine Feinde) hätten mich gerne dafür gelyncht.

Die erste Warnung des Kommenden ist ein leises Quietschen, ähnlich einem Winseln.

Romano Scarpetta, der Spartenleiter Asset Management, lacht laut heraus und kann nicht mehr aufhören. Sein Tonfall gleicht dem einer Hyäne: hoch und schrill. Bald muss er sich am Tischblatt festhalten, weil es ihn so anstrengt. Tränen laufen aus seinen Augen.

Ich starre ins Leere und konzentriere mich auf meine Atmung, um es Romano nicht gleichzutun.

“Geht’s wieder?”, fragt der CEO irgendwann bissig.

“Ja, natürlich”, japst Romano und gluckst. Er hat einen Schluckauf.

“Fahren Sie bitte fort”, wendet sich Leuli an den Consultant.

Der Consultant betrachtet uns, als seien wir alle wahnsinnig. “Bei der Effizienzprüfung der Backoffice-Abteilungen hat sich ein erfreuliches Resultat ergeben: Bei den meisten Firmen sind die Supporteinheiten überdimensioniert. Ihre sind sehr schlank gehalten. Sollte ein rasches Wachstum einsetzen, könnten Sie sogar Probleme damit bekommen, dieses Wachstum zu verarbeiten. Wir raten deshalb dazu, die Personalgewinnung für das Backoffice genau im Auge zu behalten und frühzeitig mit der Verpflichtung neuer Mitarbeiter zu beginnen.”

Das gefällt Leuli und Lucius Duca ganz und gar nicht. Insbesondere unser Spartenleiter Inland sieht aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

“Zu den kundenseitigen Abteilungen: Hier präsentiert sich ein anderes Bild. In den Bereichen Inland und International wurden ineffiziente parallele Strukturen aufgebaut. So gibt es einen Vertrieb Inland und einen Vertrieb International. Das gleiche gilt für die Teams Vertriebsunterstützung, Account Management und Strategische Entwicklung. Sämtliche Teams sind überdimensioniert und jedem steht ein Direktionsmitglied vor.”

[…]

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Wir winken vom Elfenbeinturm

von Nicolas Wydmer

Band 2 der satirischen Romanserie «Das Bullshit Bingo Blog»

Buch und eBook Faya Namenlos

Erscheinungsdatum: April 2015

200 Seiten

erhältlich als eBook und Taschenbuch

ISBN: 978-3-9524326-2-4 (eBook)
ISBN: 978-3-9524326-3-1 (Taschenbuch)

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